„Wir wollen nicht mehr mehr“


Franka
Bei meinem morgendlichen Radiohören bin ich auf eine Aussage von Friedrich Merz gestoßen, die mich wütend gemacht hat:
Friedrich Merz fordere mehr Respekt für Besserverdienende, mehr Fleiß und möchte die Mentalität der Deutschen hinsichtlich ihrer Arbeitszeit verändern, so lässt es sich zum Beispiel in Der Zeit[1] lesen. Arbeit solle nicht als „unangenehme Unterbrechung“ unserer Freizeit gesehen werden, denn dies führe langfristig zu einem Wohlstandsverlust – Arbeitszeiten über acht Stunden am Tag kenne der Politiker selbst, und fände das gar nicht so schlimm.
Wenn ich diese Zeilen schreibe,
kann ich bereits die Stimmen hören, die ich nicht nur aus dem politischen Diskurs, sondern auch aus meinem privaten Umfeld kenne: „Genau, die jungen Leute wollen heute gar nicht mehr arbeiten! Die sind faul! Und ruhen sich auf dem Wohlstand aus, den wir hart für sie erarbeitet haben!“. Ich selbst bin 23 Jahre alt, gehöre damit zu „den jungen Leuten“ – und der Generation Z, deren Arbeitswilligkeit immer wieder angezweifelt wird. Meine Antwort auf die Vorwürfe wäre: Stimmt. Zum Teil.
Wie komme ich zu so einer Antwort?
Während vorherige Generationen mit dem Versprechen groß geworden sind, dass sich harte Arbeit auszahlt, Haus, Hund und Auto ab einer gewissen Anzahl an Arbeitsstunden finanzierbar sind und die Rente eine Zeit ist, in der die Existenz grundlegend gesichert ist, sieht das für Menschen meiner Generation ganz anders aus.
Wir hangeln uns von meist unbezahltem Praktikum zu Praktikum, unbefristete Arbeitsstellen sind eher die Ausnahme, Die Aussicht auf eine Rente, die nach aktuellen Hochrechnungen gerade mal 30% des Gehalts abdeckt, lässt mich hoffnungslos fühlen. Wohneigentum zu erwerben ist bei den gegenwärtigen Immobilienpreisen fast unmöglich. Der Klimawandel bedroht unseren Planeten und damit auch unsere Lebensgrundlage. Die Prognosen für den Zustand der Erde in fünfzig Jahren, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, sind düster: Abschmelzen der Polkappen, steigende Meeresspiegel, Wüstenbildung, Extremwetter, irreversibles Ansteigen der Temperaturen und gesellschaftliche Konflikte, die daraus entstehen, wie Kriege um Ressourcen und große Fluchtbewegungen. Mir macht das Angst. Ich führe mit meinen Freunden Gespräche darüber, ob es überhaupt verantwortbar ist, in einer solchen Welt Kinder zu bekommen. Was kann man ihnen bieten? Womit lässt man sie zurück, wenn man selbst stirbt?
Auf eine Antwort bin ich noch nicht gekommen.
Aber mir ist aufgefallen, dass sich etwas in meiner Lebenseinstellung verändert hat, damit diese Fragen nicht mehr so schwer wiegen: Ich glaube, dass mein Blick und der meiner Generation auf die Lebensrichtung ein anderer ist – von einer unvorhersehbaren Zukunft hin zu einer Gegenwart, die sich gestalten lässt. Dies bedeutet, sich mit dem Alltag auseinanderzusetzen und zu reflektieren, wie man diesen eigentlich verbringen möchte; wofür man seine kostbare Zeit verwenden will, wenn sie das einzige zu sein scheint, dass uns wirklich bleibt. Weil Arbeit einen großen Teil unseres alltäglichen Lebens einnimmt, liegt es nahe, dass auch sie nicht von dieser Reflektion ausgenommen werden kann. Die Stellschrauben, die sich mir und meiner Generation beim Reflektieren zu erkennen geben, sind folgende: Was und wie viel.
Welche Tätigkeit ist es mir wert, die vorgesehen acht Stunden am Tag damit zu verbringen?
(Mir ist bewusst, dass sich diese Frage nur stellen lässt, wenn die eigenen privilegierten Lebensumstände es zulassen.) Es handelt sich hierbei also auch vermehrt um eine Frage nach Sinn, nach Freude und für manche vielleicht sogar eine Frage nach Leidenschaft. Wenn wir arbeiten, wollen viele Spaß daran haben; es soll sich so anfühlen, als würde unsere Zeit für etwas genutzt werden, das uns entspricht und in dem wir uns entfalten können.
Alles hat seine Zeit, und so ist es auch mit der Arbeit:
Wie lange möchte ich am Tag dieser Tätigkeit nachgehen (auch hier gilt wieder: nur für Privilegierte)? Neben Halbtags oder Ganztagsarbeit gibt es mittlerweile ganz neue Modelle, wie zum Beispiel Remote Jobs, bei denen sich die Arbeitszeiten selbstständig so gestalten lasse, wie es am besten zum eigenen Lebensstil passt. Egal wofür man sich entscheidet, die dabei übrigbleibende „Freizeit“ fällt nun eben mehr ins Gewicht. Zeit für Freunde, Hobbys und die Familie erlangen wieder mehr Bedeutung. Aus diesen beiden Stellschrauben können also Arbeitsmodelle entstehen, die individuell zu den Menschen passen, die sie sich ausgesucht haben.
Vielleicht ist das der Punkt,
an dem die Generationen sich gegenseitig nicht verstehen, an dem Gefühle von Ungerechtigkeit und Wut entstehen. „Warum muss überhaupt so viel reflektiert werden? Warum kann man nicht, wie alle Generationen vorher auch, einfach zur Arbeit gehen, Geld verdienen und damit einen Beitrag zum Wohlstand der Gesellschaft leisten, weil es doch schon immer so funktioniert hat?“
Meine Antwort darauf wäre, ganz Generation-Z eben: Weil es nicht mehr funktioniert. Eine Beschäftigung mit dem eigenen Leben und dem Alltag ist nicht nur angesichts einer unvorhersehbaren Zukunft notwendig, sondern auch, weil Themen der psychischen Gesundheit im Laufe der letzten Jahre ein gesamtgesellschaftliches Thema geworden sind. Nicht nur unser Planet ist erschöpft, wir sind es auch. Steigende Zahlen von Burnoutfällen und Erkrankungen an Depressionen weisen darauf hin, dass zu viel Leistung ohne Ausgleich, ohne Sinn, nicht zu einem besseren Leben führt. Ich persönlich frage mich, was es bringen soll, mehr zu arbeiten, mehr Geld zu verdienen, wenn ich abends nachhause gehe und mich miserabel fühle. Kann ich meinen Urlaub überhaupt genießen, wenn ich eigentlich ein Burnout habe? Fällt mir noch auf, wie schön es eigentlich ist, mit meinen Freunden abends wegzugehen, oder bin ich die ganze Zeit mit meinen geschäftlichen Emails beschäftigt, weil ich keine Grenzen mehr ziehen kann?
Ich möchte eine Person sein, die ihre Gegenwart mag und die eigenen Grenzen respektiert.
Ich möchte mich gut um mich und meine Mitmenschen kümmern können. Ich möchte, dass mir auffällt, wie schön die Blumen am Straßenrand blühen. Ich möchte meine Lebenszeit gestalten und sagen können: Ja, ich habe es gut gemacht. Ich war lebendig, trotz aller Ängste, trotz aller Schwierigkeiten. Die Angst davor, dass sich alles für immer verändert, zum Schlechten hin, gibt es in meiner Generation genauso wie in allen anderen. Doch meine Begegnung mit der Angst, meine Antwort auf die Frage, wie wir aus dieser aussichtslosen Lage wieder herauskommen, ist eine neue, eine andere. Weil ich jung bin und darauf baue, dass mir mein Übermut schon verziehen wird: Für neue Umstände braucht es neue Herangehensweisen. Die Antwort auf Erschöpfung und Unsicherheit ist für mich nicht „Immer mehr“. Ist nicht „Augen zu und durch“. Und das gilt auch für Arbeit.
[1] Monecke, Nina. (2024, 29. September). Friedrich Merz fordert mehr Respekt für Besserverdienende. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-09/cdu-friedrich-merz-besserverdienende-arbeit
Autorin: Franka Kleemann, Ansprechpartnerin Social Media