In der Stille liegt die Kraft – oder nicht?

Cindy Hurley Leister

Veröffentlicht am: 2. Juli 20254,9 Minuten Lesezeit

Reflektive Pausen als Coaching-Instrument

Einmal im Jahr gönne ich mir mehrere Tage in Stille. Kein Telefon, keine Emails, keine Verbindung zur Außenwelt. Beim Erreichen des Retreat-Ortes ist es mir schon ein Ritual jegliche Verantwortlichkeiten, die mich sonst täglich begleiten, gar steuern, fallen zu lassen. Nur für ein paar Tage. Um mir Raum zu geben. Einfach zu sein. Mit mir. Gleichzeitig mich und meine Gedanken nicht so wichtig zu nehmen. In Zeiten der Digitalisierung und Hyperconnectivity wird das zum populären Gegentrend.  Für 7 Tage offline gehen. Digital und Mental. Die Kraft, die dabei entsteht ist beeindruckend und hat mich neugierig gemacht, reflexive Pausen im Kontext von Coaching und systemischer Beratung zu explorieren.

Denn “Raum” bzw. “Space” wird auch in einem exzellenten Coaching aufgemacht.

Erst dann ist es möglich neue Perspektiven einzunehmen, die eigenen Muster zu unterbrechen, die Gedanken zu expandieren und ein neues Bewusstsein zu schaffen. Erst dann wird plötzlich so klar, was vorher noch unmöglich erschien, der Blick auf sich selbst und manchmal auch das System erst möglich.

Lasst mich die Kraft der Stille aus zwei Perspektiven eruieren:

(Hypno)-systemische Perspektive:

Gunther Schmidt, der den hypnosystemischen Ansatz nach Milton Erickson nach Deutschland gebracht hat und bei dem unsere syspo Geschäftsführerin Nadine Nierentz direkt ‘gelernt’ hat, betont die Wichtigkeit eines Raums für Selbstorganisation. In der hypnosystemischen Beratung sind Pausen und Stille keine leeren Momente, sondern werden als wichtige Instrumente der Utilisation genutzt.

Auch wenn KI keine direkten Zitate existieren, leiten sich folgenden Annahmen ab:

  • Trance und unbewusste Prozesse: Pausen und Stille schaffen Raum für innere Erlebnisse und aktivieren unbewusste Prozesse, die zu neuen Erkenntnissen führen.
  • Achtsamkeit und Wahrnehmung: Sie lenken die Achtsamkeit des Coachees auf sich selbst und fördern eine differenziertere Wahrnehmung.
  • Raum für Selbstorganisation: Pausen und Stille ermöglichen dem inneren System des Coachees, sich neu zu ordnen und eigene Lösungen zu generieren.
  • Utilisation von „Nicht-Tun“: Das Innehalten kann wertvolle Informationen über auftauchende Gedanken und Gefühle liefern.
  • Vertrauensbildung und Respekt: Das Zulassen von Stille signalisiert Respekt vor dem inneren Prozess des Coachees und schafft Vertrauen.

Pausen und Stille sind im hypnosystemischen Coaching gezielte Interventionen, die unbewusste Prozesse aktivieren, die Selbstorganisation fördern und Klienten dabei helfen, eigene Ressourcen und Lösungen zu entdecken.

Coaching-Perspektive: 

Coaching ist Bewusstheit und Handeln, ‘Awareness and Action’. Beides benötigt Raum, der in einem Coaching-Setting entstehen kann. Stille für die ICF kein passives Element, sondern ein aktives und bewusst eingesetztes Coaching-Instrument, das wesentlich zur Wirksamkeit des Coaching-Prozesses beiträgt, indem es dem Coachee Raum für tiefere Reflexion und das Entdecken eigener Ressourcen bietet.

Mit der Annahme der Selbstwirksamkeit des Coachees als gedankliche Basis, verankert ICF Stille in ihren Kernkompetenzen wie folgt:

  • “Maintains Presence” (Competency 5): Is fully conscious and present with the client, employing a style that is open, flexible, grounded and confident. Und weiter definiert als spezifischer Verhaltensanker: “Coach creates or allows space for silence, pause or reflection”
  • “Listens Actively” (Competency 6): Focuses on what the client is and is not saying to fully understand what is being communicated in the context of the client systems and to support client self-expression
  • “Evokes Awareness” (Competency 7): Facilitates client insight and learning by using tools and techniques such as powerful questioning, silence, metaphor or analogy

Auf dem Weg zur höchsten Zertifizierungsstufe, dem Master Certified Coach (MCC), ist das Ziel diese Kompetenzen nicht nur abzurufen, sondern sie zu verkörpern, sie zu sein. Das klingt weniger konkret und fassbar, erfordert einiges an innerer Arbeit und höchstes Vertrauen in die eigene Kompetenz und Präsenz als Coach. Also Professionalisierung in Ur-Form.

Doch was heißt das nun für die Arbeit als Coaches?

Wie schaffen wir es unsere Coaching Präsenz zu kultivieren, um Stille bewusst zu ermöglichen und einzusetzen? Für mich ergeben sich hieraus drei Ansätze der Selbstreflexion:

  1. Reflexionsräume: hast du selbst Sparringpartner und Raum für Selbstorganisation? Supervision? Coaching? Mentoring? Selbst Coachee und Klientin zu sein, hilft nicht nur die andere Seite zu erleben, sondern trägt zur eigenen Professionalisierung und Selbstwirksamkeit bei. Seit drei Jahren unterstützt mich die wöchentliche Mentoring-Gruppe von David Franklin, MCC.
  2. Mentale Stärke: wie stärkst du dich mental und emotional?  Klientenarbeit erfordert ein hohes Maß an mentaler und emotionaler Gesundheit, dabei lässt sich das Kultivieren von Selbstfürsorge schnell vergessen. Hier ist weniger mehr. Mein Ziel ist es täglich 10 Minuten zu meditieren, es so routiniert werden zu lassen wie Zähneputzen. Tägliche Momente der Achtsamkeit, Meditation oder Pausen gebenEnergie.
  3. Innere Ruhe: wo findest du Momente der inneren Ruhe? Das muss nicht immer gleich das Schweige-Retreat sein, wo kannst du einfach nur sein, den Moment genießen, dir selbst etwas Raum geben, der nicht gefüllt werden muss, z.B. in der Natur, mit Kunst oder Musik, leichtem Sport. Fuer mich ist es die Natur: nach zwei Wochen Stadturlaub in Frankfurt, Berlin und Mannheim, entspannt sich mein gesamter Organismus beim Eintauchen in die grüne Landschaft des Allgäus.

Als Coaches liegt es an uns…

… diese stille Kraft zu kultivieren. Die eigene Selbstreflexion, das Stärken der mentalen und emotionalen Resilienz sowie das bewusste Schaffen von Räumen der inneren Ruhe sind entscheidend, um Präsenz zu verkörpern und Klienten diesen essenziellen „Space“ für ihre Entwicklung zu ermöglichen. Es ist die Kunst, im Nicht-Tun das Potenzial für das Neue zu erkennen und zu entfalten.

Wie integrieren du die Kraft der Stille in deine eigene Coaching-Praxis und dein Leben?

 

Ressourcen:

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https://www.coaching-magazin.de/autoren/gunther-schmidt

https://www.fritz.tips/hypnosystemische-therapie-nach-gunther-schmidt#:~:text=Gunther%20Schmidt%2C%20Burnout%2DPapst,Hypnosystemische%20Therapie%20in%20der%20Praxis

Autorin: Cindy Hurley-Leister, Senior Beraterin

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