Coach oder Fake

Blogbeitragsbild von Nadine Nierentz Senior Coach und Geschäftsführerin von syspo excellence zu dem Thema Coach oder Fake, Frau mit wilden Haaren auf grauem HG

Nadine Nierentz

Veröffentlicht am: 1. September 20233,9 Minuten Lesezeit

Coach oder Fake?

…und was ein Blinddarm damit zu tun hat.

Es ist ein sehr persönliches Thema, daher werde ich in diesem Beitrag meine Leserinnen und Leser duzen.

Wir erleben gerade eine Zeit in der auf der einen Seite, die Herausforderungen für uns Menschen, unsere Psyche und unsere Bewältigungsstrategien komplexer werden und Begriffe wie Achtsamkeit, Resilienz und Work-Life-Balance mehr Aufmerksamkeit erlangen denn je.  Und gleichzeitig wächst das Angebot an Coaching und Lebensberatungen stetig.

Die Überforderung durch multiple Unsicherheiten unserer Zeit und die Sehnsucht vieler Menschen nach der einen wirksamen Hilfe, Methode oder dem Heilsbringer scheint stetig größer zu werden. Da die Suche nach psychotherapeutischer Unterstützung oftmals ein hoffnungsloses Unterfangen ist, scheinen direkt verfügbare Angebote von Coaches, die zum Teil über einfache Handlungsempfehlungen Linderung versprechen, immer attraktiver zu werden. Vielleicht hast Du selbst auch bereits erste Erfahrungen dahingehend gemacht.

Wenn ich mir

bei Instagramm und Co., und Linkedin ist dabei keinesfalls besser, die Beiträge einiger „Coaches“ anschaue, wird mir mit Verlaub angst und bange. Die Banalität der Inhalte und der Sprache, das fehlende Wissen über menschliche Krisen, psychische Erkrankungen oder Belastungsreaktionen gipfelt in 3 – 5 Psycho-Hacks, diversen Verkaufsangeboten und Selbstdarstellungsarien, die nicht mehr den Menschen im Fokus haben, sondern die Aufwertung der eigenen Existenz und vor allem des eigenen Kontos. Und das im Kontext von menschlichen Nöten und existentiellen Krisen!?

Versteh mich nicht falsch, ich lese oder höre auch mit einer gewissen Gespanntheit und einem Gefühl von „oh ja, genauso fühlt es sich an“ diese Beiträge und lauere auf die leichte Lösung, die mir Glück und Erfüllung für mein Leben bringt. Das ist sehr menschlich und keinesfalls verwerflich. Aber es ist nicht realistisch. Wenn es doch so trivial wäre, würden es dann nicht einfach alle tun und alles wäre gut? Vielmehr bleibt doch ein Gefühl von Unzulänglichkeit und „nicht gut genug“ sein zurück, bei all diesen Hochglanz-Lebensweisheiten.

Also, was fällt diesen, nennen wir sie „Fake-Coaches“ eigentlich ein??

Aus wertschätzender Perspektive könnte man ihnen zugutehalten, dass sie aus bester Intention und Nächstenliebe agieren und in sich eine gewisse Kompetenz erkannt haben, für andere hilfreich zu sein. Im allerbesten Falle ist das so. Das entbehrt aber in keiner Weise fachliches Wissen, Qualifizierung und Professionalität.

Wenn Du morgen eine Blinddarm-OP brauchst, würdest Du auch nicht zu einem ehemaligen Patienten gehen, der eine ähnliche OP gut überstanden hat und weiß, wie es sich anfühlt operiert zu werden. Du wirst Dich in die Hände eines Mediziners begeben, der durch Studium und Ausbildung sehr genau weiß, was zu tun und zu lassen ist und sich nicht ausschließlich auf seine Intuition und sein Gespür verlässt.

Zudem ist für mich die Grundlage eines professionellen Coaches die Haltung.

Und Haltung beinhaltet ein konstruktivistisches Welt- und positives Menschenbild, Werte, die der Coach in seiner Arbeit lebt und die die Basis für das Arbeiten mit der menschlichen Psyche bilden. Respekt und Professionalität zum Beispiel dadurch zu zeigen, dass ich meine eigene Begrenztheit anerkenne und Anfragen ablehne, wenn sie nicht meiner Expertise entsprechen, – auch der Zahnarzt würde übrigens nicht deinen Blinddarm operieren-

die Anerkennung der Individualität und unvergleichbaren Komplexität jedes Einzelnen und damit die Unmöglichkeit Allgemeinrezepte für jeden auszustellen und vieles mehr.

Denn eines dürfen wir nichts vergessen:

Alles, was wir tun oder auch nicht tun in Coachingsitzungen, hat Auswirkungen auf den anderen. Wir können durch die Art und Weise wie wir arbeiten, Menschen in ihrer Entwicklung unterstützen oder auch destruktive Verhaltensmuster stabilisieren. Das ist eine hohe Verantwortung, mit der wir nicht leichtfertig umgehen dürfen.

Darum soll dieser Beitrag als ein Plädoyer für alle Coaches verstanden werden, ihre Qualifizierung, ihre Profession und ihre innere Haltung kritisch zu hinterfragen, nie aufzuhören zu lernen und mit Demut in jeden neuen Kontakt zu gehen. Gleichzeitig ist es eine Aufforderung für jeden von uns, gut zu prüfen mit wem wir arbeiten möchten und legitimerweise auch Studium und Coachingausbildung zu hinterfragen, weil Coach nicht gleich Coach ist.

Daher

lies Beiträge kritisch, lächele, wenn Du dabei denkst „wie schön es doch wäre, wenn es so leicht ginge“ und prüfe gut, wem Du Deinen seelischen „Blinddarm“ überlässt. Und noch eins, ein gutes Gespräch oder eine Story einer erfolgreich überwundenen Krise sind sicher wertvoll, aber noch lange kein Coaching.

Alles Liebe!

 

Autorin: Nadine Nierentz,

Diplom-Psychologin, Supervisorin, systemische Therapeutin und Beraterin, hypnosystemischer Coach, Notfallpsychologin, Senior Coach DBVC, Lehrcoach DVCT und ECA und Geschäftsführerin bei syspo excellence

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