Im Realitäten-TV – Hypnosystemische Konzepte in Beratung, Coaching und Supervision – Teil II

Hebbsche Regel - Hypnosystemisches Coaching

Jürgen Stock

Veröffentlicht am: 1. Juni 20224,9 Minuten Lesezeit

Der menschliche Geist ist wie ein Fernseher mit Hunderten Kanälen.
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Thich Nhat Hanh (geb. 1926), buddhistischer Mönch und Autor

 

Die Hebbsche Regel

(oder „Cells that wire together, fire together”)

 

Was bisher geschah:

In der letzten Folge des Realitäten-TV´s sind wir mit der grundlegenden Bedeutung der Aufmerksamkeitsfokussierung in Kontakt gekommen. „Energy flows where attention goes“ – unser Erleben hängt offenbar sehr stark mit der Art und Weise unserer willkürlichen und unwillkürlichen Aufmerksamkeitsfokussierung zusammen.
Je nachdem wie wir unseren Fokus (willkürlich und/oder unwillkürlich) setzen, werden unterschiedliche Netzwerke in unserem Gehirn aktiviert. Diese können mehr ressourcenorientierter Natur, aber natürlich auch eher problembeladen sein.
Als kleines Beispiel für dieses Prinzip: Wenn ich Sie am Ende eines Tages hartnäckig danach fragen würde „Womit an Ihrem Tag waren Sie heute zufrieden?“ dürfte es gänzlich andere Auswirkungen haben, als die beharrliche Frage „Was an Ihrem Tag war denn heute besonders mies?“

Doch welche Rolle spielt nun die vielzitierte Hebbsche Regel in diesem Zusammenhang? Lassen Sie uns doch zunächst einmal genauer untersuchen, was diese im Ursprung eigentlich besagt.

Hebbs Entdeckung

Donald Olding Hebb war ein kanadischer kognitiver Psychobiologe und Professor für Psychologie an der McGill-Universität in Montreal, Kanada.
Ganz allgemein gesprochen beschreibt die nach ihm benannte „Hebbsche Regel“ (oder das „Hebbsche Gesetz“) den Prozess des Lernens in neuronalen Netzwerken mit gemeinsamen Synapsen.
Hebb hat das in seinem Text „The Organization of Behavior“ 1949 folgendermaßen formuliert:
„Wenn ein Axon der Zelle A […] Zelle B erregt und wiederholt und dauerhaft zur Erzeugung von Aktionspotentialen in Zelle B beiträgt, so resultiert dies in Wachstumsprozessen oder metabolischen Veränderungen in einer oder in beiden Zellen, die bewirken, dass die Effizienz von Zelle A in Bezug auf die Erzeugung eines Aktionspotentials in B größer wird.“

In einfacheren Worten meint dies: Je öfter ein Neuron A mit Neuron B agiert, desto häufiger reagieren diese Neuronen miteinander. So stärkt sich die Synapse zwischen den beiden und die Neuronen A und B sind anschließend verkoppelt.
Dieser Vorgang kann auch mit der griffigeren „Formel“ beschrieben werden: „Cells that fire together, wire together“.
Damit hat Hebb die synaptische Plastizität entdeckt. Diese Erkenntnis war ein äußerst wichtiger Ausgangspunkt des Verständnisses neurophysiologischer Vorgänge bei Lern- und Gedächtnisprozessen.

Auswirkung auf unsere Wahrnehmung

„Nun gut“, höre ich Sie sagen, „aber was bedeutet das jetzt alles für unser Thema hypnosystemischer Konzepte in der Beratung“?
Wichtiger Punkt, den Sie da vorbringen. Lassen Sie uns noch einmal kurz zusammenfassen: Wir haben also eine Tendenz in unserem Gehirn, dass sich gemeinsam feuernde Zellen miteinander vernetzen. Sind sie aber erst einmal verkoppelt, haben sie in Zukunft die starke Neigung auch wieder zusammen zu feuern. Man könnte auch sagen: „Cells that (once) wired together, (now) fire together„.

In unserer Kindheit haben wir alle so manche schwierige Situation erlebt. Häufig waren dabei Stress, Angst und manchmal auch Überforderung im Spiel. Zu dieser Zeit standen uns aber noch nicht die Erfahrungen und Kompetenzen zur Verfügung, die wir als erwachsene Menschen dann im Laufe unseres Lebens erworben haben. Wir mussten also mit diesen Situationen noch ohne umfangreiche Kompetenzen und Ressourcen zurechtkommen. In dieser Zeit kam es zu entsprechenden Verkoppelungen von auslösenden Reizen, Triggern, unserer Wahrnehmung und unseren Emotionen.

Für unsere alltägliche Wahrnehmung heißt das nun: Auch wenn diese Verkoppelungen heute von einer schwierigen Situation angetriggert werden, aktiviert dies über Gedächtnisprozesse in rasender Schnelle das gesamte damals entstandene neuronale Netzwerk. Es gibt deshalb eine fast natürliche Tendenz unseres Gehirns auf herausfordernde Situationen in unserem Leben wieder mit genau diesen alten Mustern zu reagieren. Obwohl uns als erwachsene Menschen inzwischen andere Kompetenzen zur Verfügung stehen würden, ist die Verkoppelung der damaligen Gefühlszustände mit bestimmten Triggern und Wahrnehmungsmustern so stark, dass wir keinen Zugang zu unseren (immer vorhandenen!) Ressourcen finden.

Gelingt es uns aber in schwierigen Momenten günstigere, sprich kompetenzassoziierte Netzwerke in uns zu aktivieren, haben wir auch in diesen Situationen Zugang zu unseren Ressourcen und werden entsprechend leichter mit der anstehenden Herausforderung fertig.

Einsatz im Coachingprozess

Ganz allgemein gesprochen sollten wir deshalb in unserer Arbeit als Berater:innen anstreben solche Verkoppelungen, die eher mit dem Problemerleben einhergehen, zu verflüssigen und Erlebnisnetzwerke in´s Spiel (sprich in die Vernetzung) zu bringen, die mehr mit unserem Kompetenz- und Ressourcenerleben zusammenhängen.
Ein schönes Beispiel für eine solche Intervention ist die von Gunter Schmidt entwickelte Methode der „Problem-Lösungs-Gymnastik“. Hier werden die problemorientierten Erlebnisnetzwerke imaginativ und systematisch mit Ressourcenerleben verkoppelt, indem problemorientierte Netzwerke und Kompetenznetzwerke in raschem und bewusstem Wechsel aktiviert werden.

Als kleines Beispiel für ein solches Vorgehen könnte die Beraterin dem Klienten die Frage stellen: „Wie ist Ihre Körperhaltung in der „Problemsituation“?
Und gleich im Anschluss: „Und wie ist sie in Ihrem Kompetenzerleben?“
Oder: „Wie ist Ihr Atemmuster in der schwierigen Situation?“ Und unmittelbar danach: „Wie atmen Sie, wenn Sie uneingeschränkten Zugang zu Ihren Kompetenzen haben?“
Durch diese Verkoppelungen (noch einmal: „Cells that fire together, wire together“) werden neue neuronale Verbindungen etabliert. Kommt es in der Zukunft zu einer vergleichbaren Problemsituation, werden automatisch die damit verbundenen Kompetenzerlebnisnetzwerke aufgerufen – unseren Klient:innen stehen nun andere Möglichkeiten im Denken und Handeln zur Verfügung. Und genau davon handelt das hypnosystemische Arbeiten ja im Wesentlichen: vom Schaffen neuer Möglichkeiten im Erlebnis- und Verhaltensrepertoire.

Ausblick

Wenn Ihnen diese Folge des Realitäten-TV´s gefallen hat, erzählen Sie es doch weiter und seien Sie auch beim nächsten Mal wieder mit dabei, wenn es um die provokative Aussage geht:
„Die Phänomene sind nie das Problem, sondern unser Umgang damit“ (oder die hohe Relevanz der Meta-Position im hypnosystemischen Coaching).

Vielen Dank für´s Einschalten!

 

Autor:
Jürgen Stock

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