Resilienz … und ein Sonntag in den Blue Mountains

eine Reihe bunter Stifte

Cindy Hurley Leister

Veröffentlicht am: 1. August 20228,7 Minuten Lesezeit

Wie können wir Resilienz im Coaching und in Organisationen nutzen? Für uns selbst als Coaches und für unsere Klient:innen?
Ich möchte Sie mitnehmen auf einen Spaziergang in die australischen Blue Mountains. Ich möchte Lust auf den Aufbau von Resilienz machen und hierfür vier Strategien anbieten – aus meiner eigenen Praxis entnommen. 

  1. Lerne etwas
  2. Leiste etwas oder sei wirksam
  3. Lache und lass etwas
  4. Liebe etwas                      

Es ist Sonntagvormittag. Ich habe das Haus verlassen.

Alleine. Ich gehe ein paar Schritte, es dauert etwas, bis ich meinen Gehrhythmus finde, meine Gedanken nicht mehr abschweifen. Einfach präsent in der Natur. Gar nicht so einfach mit der Aufmerksamkeitsfokussierung, auch für mich als Coach. Um mich herum alles grün, die Luft ist frisch, zwischen den Bäumen Nebel. Nach zwanzig Minuten komme ich an meinen Lieblingsplatz, den ich vor zwei Jahren entdeckt habe. Der Name „Golfpoint Lookout“ wird ihm nicht im Ansatz gerecht. Ich schaue in die Weite, die Sicht ist klar. Überall dieses blau-grüne Schimmern der Bäume, weshalb die Region Blue Mountains genannt wird. Hier verweile ich, komme an. Lasse die Woche Revue passieren und denke an das, was ansteht. Bevor ich meine Aufmerksamkeit wieder dem unglaublich schönen Ausblick widme.  

Blue Mountains, Australien

Bild der Blue Mountains aufgenommen von Cindy Hurley Leister

Wer mich gut kennt, weiß, dass mir weder Alleinsein noch langsame Spaziergänge besonders leicht fallen.

Ich bin gerne mit Menschen umgeben, habe zwei Jahre in direkter Nähe zu Manhattan gelebt. Nach 15 Jahren Großkonzern-Karriere und nun als selbständige Coach und Beraterin beschreibe ich mich oft mit dem Satz „I love people, places and performance“. Alle drei Dinge fallen mir sehr leicht und begleiten mein Leben sowie meine Arbeit. Mein Netzwerk umfasst die ganze Welt. Ich liebe es, Menschen bei Veränderungen zu begleiten. Und mit meiner Leistung erfolgreich zu sein, ist mir wichtig, auch wenn ich mit Maß und Zweck noch spiele.  

Im dritten Jahr meiner Selbständigkeit und der Pandemie merke ich jedoch,

wie ich noch aktiver als früher meine eigene Resilienz stärken will, nicht nur um Rückschläge wegzustecken (z.B. ein nicht zustande gekommenes Kundenprojekt oder mein harscher Ton mit den Kindern), auch um die täglichen Herausforderungen zu meistern. Ich weiß, dass ich dann auch in meiner Arbeit als Coach und Beraterin aus meiner vollen Kraft und Präsenz agiere. Mein sonntägliches Spaziergangsritual dient hier als Check-In mit mir selbst.  

  • Wo stehe ich im Moment? 
  • Was nehme ich wahr? In mir? 
  • Was ist mir leichtgefallen und warum? 
  • Worauf möchte ich nächsten Sonntag zurückblicken? 

Diese Art von Selbstreflexion wird auch im Business Kontext verwendet,

gerade bei Umstrukturierungen und gerade für Menschen in Verantwortung. McKinsey nennt das z.B. „Integrative Awareness“ (s. Referenz) und ein Schlüsselelement für die resiliente Organisation. „Awareness“ hängt eng mit Achtsamkeit zusammen. Nur dann können wir aktiv unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, was uns wirklich wichtig ist. Im systemischen Kontext nennen wir das Aufmerksamkeitsfokussierung und diese können wir trainieren. In den USA wird das mittlerweile auch von Medizinern erforscht, was genau im Gehirn passiert, wenn wir z.B. schlechte Laune haben oder gestresst sind. Und wie wir darauf reagieren – unbewusst reaktiv oder bewusst reagierend. Und ein Weg zu mehr Aufmerksamkeit ist eine regelmäßige Achtsamkeit-Praxis (s. UCLA).   

Achtsamkeit,

also im Moment präsent sein ohne Bewertung, ist ein Weg zu mehr Resilienz und hat vielerlei positive Effekte (s. UCLA). Achtsamkeit ist deshalb für mich ein wichtiger Pfeiler im Aufbau von Resilienz, welche ich selbst praktiziere und meinen Klient:innen anbiete. Gleichzeitig ist Resilienz viel mehr als das. Und hier nun endlich die vier Strategien.   

Lerne etwas

Kompetenz ist neben Autonomie und Bezogenheit (Relatedness) ein psychologisches Grundbedürfnis. Die Forschungsarbeiten zur sog. „Self-Determination Theory“ von Deci & Ryan erklären das ausführlich. Doch ich muss nur meinen Kindern beim Spielen und Lernen zuschauen, um das wirklich zu verstehen. Genauso ist es in der Arbeitswelt. Es fühlt sich großartig an, in seiner Arbeit aufzugehen, etwas zu lernen, dann zu zeigen, was möglich ist. Wie die Dinge leicht von der Hand gehen, Hindernisse überwunden werden und die Eigenverantwortung automatisch gestärkt ist. 

Eine IBM Studie hat Executives auf der ganzen Welt nach den Skills der Zukunft befragt und schon vor der Pandemie haben die sogenannten „Soft“ Skills, die mehr fachlichen Kompetenzen überholt. Anpassungsfähigkeit wird hier sogar an erster Stelle genannt.  

Sicherlich, das Leuchten in den Augen der meisten von uns strahlt nicht mehr ganz so intensiv bei der täglichen Arbeit, wie in unseren Kinderzeiten. Und doch erleben wir immer mal wieder Momente des Hochgefühls und das „Strahlen“ lässt sich kultivieren. Das ist für mich Kern der Arbeit mit Menschen in unseren syspo excellence Programmen. Wir arbeiten mit Menschen, die Rückschläge in ihren Unternehmen erlebt haben und sich neu orientieren müssen. Das kann zu einer Abwärtsspirale führen, in der sie sich selbst als inkompetent, machtlos und isoliert empfinden und dann nicht selten weniger positive Resonanz auf Bewerbungen erhalten. Mit unseren Workshops möchten wir diese Spirale stoppen und umkehren.  

Leiste etwas oder sei wirksam

Wir alle möchten etwas leisten. Selbstoptimierung funktioniert nur begrenzt. Menschen leisten dann am meisten, wenn ihre psychologischen Grundbedürfnisse erfüllt sind – also Kompetenz, Autonomie und Bezogenheit. Wie können sie sich trotz der schwierigen, beruflichen Situation als kompetent, autonom und zugehörig zur Organisation wahrnehmen? Wie können sie ein positives Zukunftsbild entwickeln? Genau hier setzen wir mit unseren hypnosystemischen Prozessen, Team- und Einzelcoachings und agilen Methoden an. Im Film „Augenhöhe“, den wir oft in unseren Workshops zeigen, geht es bspw. darum, wie Arbeit gestaltet sein muss, damit Menschen ihre vollen Potenziale erfüllen können. Darauf aufbauend erarbeiten wir mit jedem Einzelnen verschiedene Grundpfeiler und Werte. Mich treibt an, diesen Menschen zu helfen, wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen, ihre eigenen Möglichkeiten (wieder) zu entdecken und dann – das ist meine Hoffnung – dass sie mit einem Funkeln davon berichten können, z.B. in Bewerbungsgesprächen. 

Gerade in beruflichen Krisen, hilft der Glaube an die eigene Leistung und Fähigkeiten. Die Hoffnung, dass wir noch einen Beitrag leisten können zu dieser Arbeitswelt. Dass es irgendwo einen Projekteinsatz, eine Aufgabe gibt, in der wir unsere Fähigkeiten zeigen können. Diese Hoffnung stärken wir durch unsere Arbeitskraft. 

Lache und lass etwas

Humor hilft über viele Schattenseiten hinweg. Dinge anzunehmen, wie sie sind und die Balance zu halten. Was uns zum Lächeln bringt, kann ganz unterschiedlich sein. Erinnere dich daran. Die Sonne nach Monaten von Regen? Die morgendliche Begrüßung deines Hundes? Das freundliche Lächeln eines Unbekannten im Supermarkt? Und wenn es um Leistungsfähigkeit und effektives Lernen geht, hilft eine entspannte, humorvolle Atmosphäre, auch um mal Durchatmen zu können.  

Diese Möglichkeiten habe ich nicht nur als externe Beraterin – zugegeben es fällt manchmal leichter, da wir den Abstand haben. Auch als Führungskraft und Teammitglied kann ich durch Humor menschliche Begegnungen auflockern.  

Loslassen ist nicht dasselbe wie Lachen. Es gehört mit zu einer Art von Ressourcenorientierung - Aufladen, Kraft schöpfen. Nicht produktiv zu sein. Nur zu sein, statt zu tun. Ein Teil der Resilienzforschung nimmt sogar die These ein, dass das der Schlüssel ist: „Resilience is about how you recharge, not how you endure“ (HBR 2017). Dazu gehört auch die Achtsamkeitspraxis, die in meinem Sonntagsspaziergang durchklang (HBR 2017). 

Liebe etwas

Wenn wir die menschliche Erfahrung in der Arbeitswelt positiv gestalten möchten, führt kein Weg an Emotionen vorbei. Negative Emotionen beschützen uns. Sie sind Warnsignale unseres Organismus. Die Arbeit von Prof. Susan Davis zur Emotionsregulierung gibt uns viele Anstöße, was wir von unseren sogenannten negativen Emotionen lernen können: Trauer, Wut, Angst, Hoffnungslosigkeit, Langeweile, Melancholie, Leere, Nervosität – um nur einige zu nennen – lösen körperliche Reaktionen aus, auf die wir nur selten gelernt haben zu hören. Welche Werte wurden verletzt? Welches Bedürfnis übergangen? Was haben wir verloren, was uns sehr wichtig war? All diese Fragen sind wichtig, auch im beruflichen Kontext.  

Das Feld der Positiven Psychologie hat uns gezeigt, wie regenerativ positive Emotionen wirken können. Wiederkehrende Übungen zu Dankbarkeit, Wertschätzung, Hoffnung, Anerkennung, Optimismus haben einen energetisierenden Effekt in Richtung unserer beruflichen Ziele, die wir bei syspo aktiv nutzen. Die meisten von uns kennen die Kurve der Veränderung. Sie wird mittlerweile in jedem Change Projekt bei Umstrukturierungen gezeigt. Sie hat geholfen ein Gespräch zu Emotionen bei Veränderungen im beruflichen Kontext zu starten. Doch das ist nicht genug und hilft oft nicht auf individueller Ebene. 

Bei syspo beginnen wir unsere Trainings oft mit der sogenannten „Landkarte der Befindlichkeiten“,

um zu würdigen, wo jede:r Einzelne emotional steht. Die Teilnehmer:innen verordnen sich dann immer wieder auf der Karte, als eine Art Temperaturmesser der beruflichen Veränderung. Menschen berichten uns, wie ungewohnt und doch befreiend es für sie ist über Emotionen im beruflichen Kontext zu sprechen. Und wie dadurch Beziehungen aufgebaut werden, die durch schwierige Zeiten begleiten und verbindend wirken. Dies geht natürlich nur in einem psychologisch-sicheren Raum, den wir in unseren Workshops immer gewährleisten. Dieser Raum ermöglicht dann Kreativität, Perspektivwechsel und sät den Samen für etwas Neues.  

Genau wie meine sonntäglichen Spaziergänge. 

Was ist Ihr Ritual für einen persönlichen Check-In?  Wie gestalten Sie „Integrative Awareness“ in Ihrer Organisation? 

„I love people, places and performance“.  Lassen Sie uns ins Gespräch kommen. 

Herzliche Grüße aus down under 

Cindy 

Cindy Hurley Leister arbeitet als freie Coach (PCC) und Senior Beraterin im syspo excellence Netzwerk. Zuvor war sie in leitenden Personalfunktionen in einem Großkonzern in Deutschland und den USA tätig. Seit 2020 lebt sie mit ihrer Familie in den Blue Mountains nahe Sydney, Australien.  

 

Literatur

Amishi, Jha: Peak Mind: Find Your Focus, Own Your Attention, Invest 12 Minutes a Day 

Ryan, R. M., Deci, E. L. (2017). Self-Determination Theory: Basic psychological needs in motivation, development and wellness. The Guilford Press. 

hbr.org/2013/11/emotional-agility 

HBR (2017). Resilience. Harvard Business Review Press 

https://www.mckinsey.com/~/media/mckinsey/email/leadingoff/2022/01/24/2022-01-24b.html 

UCLA Mindfulness Awareness Research Center, https://www.uclahealth.org/marc/ 

 

Autorin:

Cindy Hurley-Leister – Senior Beraterin bei syspo excellence

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