Systemische Fragen im Einsatz

Systemische Fragen zum Blogbeitrag von Eugenia Schmitt Systemische Fragen im EinsatzBunte Fragezeichen hängen an einer Leine
Veröffentlicht am: 1. Februar 20237,1 Minuten Lesezeit

Kaum ein Tag in unserem Leben vergeht, ohne dass wir etwas fragen.

Fragen können neue Impulse bringen, eine Stellungnahme festmachen, einen Standpunkt klären, Informationen einholen. Kurz gesagt: Sie helfen uns weiterzukommen. Wie wir fragen, entscheidet über den Erfolg der Kommunikation.

Es gibt unzählige Gruppierungen von Fragen, wie zum Beispiel offene Fragen, geschlossene Fragen, Einwandfragen, Gegenfragen, Alternativfragen, Bumerangfragen, Isolationsfragen, Kontrollfragen, rhetorische Fragen, Suggestivfragen, Schlussfolgerungsfragen.

Wie unterschieden sich systemische Fragen von den anderen Typen von Fragen?

Systemische Fragen bezeichnet eine spezielle Fragetechnik, die darauf ausgerichtet ist, wie bestimmte Personen oder Gruppen auf Basis ihrer Sichtweisen auf ihre Umgebung und die Welt miteinander interagieren. Sie sind ein Analyse- und ein Interventionsinstrument. Sie zielen somit auf:

  1. Erkunden der Regeln oder Gesetzmäßigkeiten von sozialen Systemen (Gruppen von Individuen) nach denen sie ihre Wirklichkeit konstruieren
  2. Interaktionen, die eine wechselseitige Wirkung der Handlungen, Beziehungen und Bedingungen unter den Individuen haben.

Welche systemischen Fragen gibt es?

Grundsätzlich lassen sich systemische Fragen in drei Gruppen einteilen: Hypothetische Fragen, zirkuläre Fragen und skalierende Fragen.

  1. Hypothetische Fragen

Wie das Wort sagt, führen diese Fragen zu Gedankenexperimenten, also „als-ob“ Szenarien, in denen die Personen nach denkbaren Reaktionen oder Möglichkeiten gefragt werden.

Zum Beispiel:

„Nehmen wir an, dass für das Projekt ein zusätzliches Budget genehmigt wird.

  • Was wird dann der nächste Schritt sein?
  • Was wird besser laufen?
  • Was bleibt gleich? …“

Neue Wirklichkeiten und Perspektiven können so eröffnet werden. Oft führen sie die Person aus der „Sackgasse“ heraus, neue, kreative Ideen oder Impulse sind das Ergebnis. Sie können sich auch auf die Konkretisierung der Zukunft, der Vor- und Nachteile beziehen.

Die bekannteste systemische Frage aus der Gruppe der hypothetischen Fragen dürfte die Wunderfrage sein. Sie kommt vor allem aus der systemischen Therapie und Hypnotherapie und wurde durch die Therapeuten Steve de Shazer und Insoo Kim Berg berühmt. Sie zielt darauf ab, den Gesprächspartner:in schnell aus einer Problemsicht in eine Lösungssicht zu bringen. Wunderfragen können Visionen aufkommen lassen und konkretisieren. Sie wirken energetisierend und motivierend. Für Menschen, die im Problemdenken gefangen sind, wird die Wunderfrage im Rahmen der Empowerment Strategie eingesetzt, damit sie die Kraft der eigenen Lösungsvision imaginieren und im Anschluss realistische Ziele und Veränderungsschritte entwickeln. Sie besteht aus mehreren Teilen:

  1. Einleitung – ein Hinweis auf eine ungewöhnliche Frage
  2. Einbetten in den Alltag: „…stellen Sie sich vor…“
  3. Suggestion eines Wunders: „…während Sie schlafen geschieht ein Wunder, das bewirkt, dass die Probleme weg sind…“ Das ermöglicht einen Ressourcenzugang auf intuitiver Ebene.
  4. Übersetzung in den Kontext und Interaktion: „…wenn Sie aufwachen, woran werden Ihre Kollegen, Frau, Freunde merken, dass das Wunder geschah?“ …dann evtl. nachfragen „…was noch?“ Auf diese Weise wird das Lösungserleben in den Interaktionen ermöglicht.
  5. Ausweiten und festigen der Erfahrung, um die neue neuronale Lösungsmuster-Verknüpfungen zu stabilisieren. Das zirkuläre Fragen, nach der Person, die als erste das Wunder bemerkt oder nach der Person, die etwas anderes macht sowie nach den Auswirkungen des Wunders zeigen die Vorteile der Lösung. Anschließend können durch Skalierungsfragen die Ausnahmen von Problemen gezeigt und bewertet werden.

 

  1. Zirkuläre Fragen

 Diese Fragen werden oft als das Herzstück des systemischen Fragens bezeichnet. Im Fokus steht hierbei das „System“, also der Kontext und die Personen, die mit der befragten Person agieren, oder die durch diese Konstellation in irgendeiner Art und Weise tangiert wird. Im Klartext: Es wird die Perspektive der anderen befragt. Natürlich handelt es sich um Hypothesen, die zutreffend oder nichtzutreffend sein können. Auf alle Fälle wird das Einnehmen der Außenperspektive erreicht.

Das ermöglicht der befragten Person, sich neben der eigenen, auch in weitere Sichtweisen hineinzuversetzen und diese zu reflektieren. Damit wird Verständnis für die „Realität der anderen“ geschaffen. Für das „alte“ Problem werden neue Denk- und Betrachtungsweisen eingeführt.

Zum Beispiel:

„Wenn ich den Kunden fragen würde, wie würde er das Problem beschreiben?“

„Wie denken Sie, würde der Projektleiter die Beziehung zwischen Ihnen und den IT-Mitarbeitern beurteilen?“

 Diese Art des Fragens ist für alle Beteiligten erstmal ungewohnt, erfordert behutsames Einführen und sollte geübt werden.

 

  1. Skalierende Fragen

Diese Fragen ermöglichen Unterschiede zu benennen, ihre Ausprägung zu veranschaulichen und zu hinterfragen, sowie nichtexistierende Unterschiede sichtbar zu machen. Sie sind insbesondere dann nützlich, wenn Menschen zu dichotomen Bewertungen neigen: richtig vs. falsch, gut vs. böse…Mit Fragen nach Prozenten, Skalenwerten oder Rang lassen sich die Bewertungen klassifizieren.

Wird zum Beispiel die Stimmung im Projektteam bewertet, ist das „schlecht“ mit dem Skalenwert 6 von 10 ist nicht gleich dem „schlecht“ mit dem Skalenwert 8 von 10.

Eine weitere mögliche Frage im Anschluss könnte lauten:

„Sie haben die aktuelle Stimmung mit 6 eingestuft. Was müsste passieren, damit Sie auf die 8 kommen? Was könnten Sie tun, damit Sie bei 9 oder 10 landen?“

 Es ist auch möglich, verschiedene Typen von Fragen zu kombinieren.

Zum Beispiel:

„Sie haben angegeben, dass Sie Ihre Arbeitsbelastung auf der Skala von 1 bis 10 momentan bei 7 sehen.

  • Wenn Sie Ihre:n Projektleiter:in fragen würden, wie würde Ihre Belastung beurteilt werden, welchen Wert würden Sie eintragen?
  • Was würden mir Ihre Kollegen sagen?“

Es gibt selbstverständlich etliche weitere systemische Fragen, die sich den oben genannten Gruppen zuordnen lassen. Dazu gehören zum Beispiel Fragen nach Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktionen, Verschlimmerungsfragen, Metapher-Fragen, Paradoxe Fragen.

Systemisch fragen – oder doch nicht?

Systemische Fragen lassen sich erfolgreich einsetzen, wenn es um die Lösung komplexer Probleme geht. Durch ihren Fokus auf Wechselbeziehungen beleuchten sie die Handlungsmuster und setzten die vorherrschenden Annahmen und Regeln mit anderen relevanten Perspektiven in Beziehung, wodurch ihre Modifikation ermöglicht wird.

Typischerweise werden sie in Coachings und Supervisionsgesprächen, sowie in  Führungsgesprächen, wenn die Führungskraft in die Rolle eines Coaches schlüpft, in Teamentwicklungsprozessen oder bei der Konfliktklärung. Weitere Gebiete sind Meetings, in denen es um gemeinsame Problemklärung- und Lösung geht, in Strategiegesprächen aber auch bei kreativen Entwicklungsprozessen.

Damit sie optimal eingesetzt werden können, sollten bestimmte Voraussetzungen gegeben sein.

Voraussetzungen für die Anwendung systemischer Fragen

Kenntnis der Fragetypen, ruhiger Ort und Diskretion allein reichen nicht, um einen Nutzen aus den systemischen Fragen zu ziehen. Fingerspitzengefühl und Praxiserfahrung ermöglichen eine gewisse Treffsicherheit, wann welche Frage zu stellen sind, um einen möglichst großen Fortschritt anzustoßen.

Wichtig ist auch die Bereitschaft von allen Gesprächspartner:innen, sich auf die Fragestellung einzulassen und eine Außenperspektive auf das besprochene Thema einzunehmen.

Damit die Fragen eine Wirkung entfalten, ist es notwendig, unterschiedliche Sichtweisen der Problemstellung durchzuspielen. Dafür ist eine gewisse Zeitspanne einzuplanen.

Wann sollen wir lieber keine systemischen Fragen anwenden

Fehlt die Offenheit (was unterschiedliche Ursachen haben kann, wie zum Beispiel die aktuelle Stimmungslage, Skepsis gegenüber Coaching, innere Überzeugung,…) sich auf die Fragestellungen einzulassen oder sind die Gesprächspartner:innen grundsätzlich abgeneigt oder nicht willens eine Außenperspektive einzunehmen, kann systemisches Fragen keinen Mehrwert bringen.

Nicht geeignet sind diese Fragen ebenfalls dann, wenn zu dem aktuellen Zeitpunkt eine Person aufgeregt ist oder mitten in einem Konflikt steht. In der Regel kann in solchen Situationen die eigene Perspektive nicht verlassen werden. Ähnliches gilt, wenn die Personen unter Zeitdruck stehen. Denn eine Antwort auf eine gut gestellte systemische Frage erfordert Zeit zum Nachdenken und eine entsprechende Ruhe.

Auch weitere Rahmenbedingungen, wie ein Ort, an dem ein vertrauliches Gespräch geführt werden kann oder der situative Kontext, wie zum Beispiel ein unbelasteter Bezugsrahmen (z.B. wenn die Personen emotional nicht stark belastet sind) müssen gegeben sein.

 

Quellen:

de Shazer, S., Dolan, Y.: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. 2011, Heidelberg (Carl-Auer), 2. Aufl.

Funcke, A., Rachow A.: Die Fragen-Kollektion. EditionTrainingaktuell, 2017

Hahn, K.: Wunderfrage. In: Wirth, J. V., Kleve H.: Lexikon des systemischen Arbeitens, 2019, Heidelberg (Carl-Auer)

Hölscher S., Reiber W., Pape, K. & Loehnert-Baldermann, E.: Die Kunst gemeinsam zu handeln. Soziale Prozesse professionell steuern. 2006

Patrzek, A.: Systemisches Fragen. Springer Verlag, 2015

Schmidt, G.: Beratungs- und Coachingpraxis. In: Faschingbauer, M.: Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln. 2010. Stuttgart (Schäffer-Poeschel).

Simon, F. B. und Rech-Simon, C.: Zirkuläres Fragen. Systemische Therapie in Fallbeispielen: Ein Lernbuch. 7. Aufl. Bonn 2006, VG Bild-Kunst.

von Schlippe, A. und Schweitzer J.: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. 10.Aufl. Göttingen 2007 Vandenhoeck und Ruprecht.

 

Autorin: Dr. Eugenia Schmitt MBR

Senior Coach bei Syspo excellence

Systemische Businesscoachin, Trainerin & Geschäftsführungsberaterin

Expertin für Kommunikation in Organisationen (Meetings, Präsentationen, innere Stärke)

Professorin für Finanzmanagement, Dekanin für Digitales Management, Modulverantwortung für Empirische Forschungsmethoden

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