X minus 10
X minus 10 – wenn große Teile der Belegschaft in Rente gehen.
Oder: wie gestalte ich mein berufliches Finale?
Kürzlich erreichte uns folgende Kundenanfrage aus einem mittelständischen Unternehmen mit etwa 5.000 Mitarbeitenden:
Wie können wir etwas für die Arbeits-Motivation der Mitarbeitenden tun, die in den nächsten 10 Jahren in Rente gehen? Man dachte da ein motivierendes Seminar.
In einem Sondierungsgespräch stellte sich heraus: es geht um mehr als ein Drittel der Belegschaft! Uff – da macht sie sich bemerkbar, die Generation der Baby-Boomer. Das sind und waren immer Viele. Ihre Motivation und Arbeitskraft hat Gewicht und kann nicht in einem einmaligen Seminar wie ein plattes Kissen aufgeschüttelt werden. Das sieht auch der Kunde inzwischen so. Wir planen nun einen Workshop mit einer Pilotgruppe, um dem Bedarf dieser wichtigen Zielgruppe auf die Spur zu kommen. Diese Pilotgruppe sollte aus Personen bestehen, die einen Querschnitt der Zielgruppe abbilden, plus einigen Entscheidern. Aus den Erkenntnissen des Workshops wollen wir ein Konzept entwickeln und einen Prozess begleiten, der die Aufrechterhaltung bzw. Steigerung der Arbeitsmotivation und Arbeitsfähigkeit der Zielgruppe im Focus hat, bis zum individuellen Ruhestand.
Vor dem Hintergrund der drängenden demographischen Problematik,
um die sich Arbeitgeber kümmern müssen, halte ich ein solches Projekt für absolut brisant und zeitgemäß.
Es interessiert und berührt mich aber auch ganz persönlich, denn auch ich bin Baby-Boomer.
Das führt mich zu der Frage: Wie gestalte ich mein berufliches Finale?
Als freiberuflich arbeitende Beraterin habe ich zwar viel Gestaltungsspielraum, aber folgende Überlegungen können genauso gut für Angestellte sinnvoll sein:
Die finanzielle Versorgung ist nicht das, was mich im Wesentlichen antreibt.
Es sind andere Faktoren, die mich bewegen, weiterhin beruflich tätig zu sein.
Als Erstes ist mir die Dosierung wichtig.
Ok, ich habe nicht immer Einfluss darauf, ob sich Projekteinsätze in meinem Kalender ballen, aber ich kann auch Anfragen ablehnen. Allein diese Möglichkeit, gibt mir das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung. Meine Auslastung habe ich allmählich heruntergefahren. Dabei muss ich darauf achten, dass die Abstände von Entspannung und Anspannung nicht zu groß werden. Sonst ist der Energieaufwand des Hochfahrens zu hoch. Der Wechsel von Freiräumen, die ich für Kurzurlaube nutze, mit Phasen professioneller Anstrengung passt für mich besser als eine kontinuierliche Auslastung in Teilzeit. Das habe ich festgestellt und mich dem entsprechend aufgestellt. Auch an dieser Stelle motiviert es mich, berufliche Entscheidungen selbst treffen zu können und den Spielraum, den ich habe, zu gestalten.
Ein zweiter Motivator ist mir der Inhalt meiner Tätigkeit und ich kann sagen, die Mischung machts!
Mich motivieren heute Aufgaben, die sowohl meine langjährige Erfahrung und erworbene Kompetenz als Beraterin und Psychologin fordern als auch Themen, die neu für mich sind. Allerdings liebe ich neue Themen nur noch in Maßen. Die Herausforderungen, die damit verbunden sind, brauche ich für meine Arbeitsmotivation nicht mehr so, wie in früheren Zeiten. Da brauchte ich immer wieder schwierige Aufgaben, um mir und der Welt zu zeigen, wie ich diese bewältigen kann. Die letzte große Herausforderung war die komplette Umstellung meiner Beratungsarbeit von Präsenz auf Online zu Beginn der Coronazeit. Die habe ich zwar als enorm anstrengend erlebt, aber auch im Ergebnis als sehr bereichernd. In kurzer Zeit hatte ich mein Portfolio deutlich erweitert und ich war stolz darauf. Ich hatte das gute Gefühl, weiterhin mitmischen zu können. Das war das Gegenteil von dem Erleben, abgehängt zu sein.
Dass ich diese persönliche Transformation in einem Alter gemeistert habe, in dem andere sich zur Ruhe setzen, ist wesentlich auf meinen dritten Motivationsfaktor zurückzuführen: das Eingebundensein in ein Team von Kollegen.
Gerade als Freiberuflerin achte ich immer schon sehr darauf, mir persönliche Verbindungen und Netzwerke zu schaffen und nicht allein zu arbeiten. Das tue ich durch verschiedene Kooperationen, durch gemeinsame Projekte, Fortbildungen und Supervisions-Peergroups. Das Syspo-Team ist mir seit vielen Jahren eine inspirierende kollegiale Heimat. Diese Verbundenheit wird mich auch in diesem Jahr motivieren, gemeinsame Projekte engagiert umzusetzen und mein berufliches Finale weiter zu gestalten.
Wenn ich meine persönlichen Überlegungen auf die alternde Belegschaft eines Unternehmens oder einer öffentlichen Organisation übertrage, dann würde ich diese gerne ermutigen und ermächtigen herauszufinden, was sie motiviert, weiterzuarbeiten. Und ich würde Unternehmen und Organisationen gerne dabei unterstützen und begleiten, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.
Autorin:
Nikola Paul – Senior Beraterin bei syspo excellence